An allem schuld ist das Einfamilienhaus.
Es gibt eine Straße in Graz, ich kenne sie nur, weil unsere gesamte gemeinsame Lebenszeit lang hier meine Großmutter wohnte, die geriert sich als Stichstraße – und ist doch Teil einer weit größeren Idee. Ihren Namen hat sie, wie die Wienerstraße, die Triesterstraße oder die Grazerstraße im ehemaligen Nachbardorf, von einer einigermaßen bedeutenden Nachbarstadt. Sie weist auch in die richtige Richtung, doch begleitet sie unseren Blick in diese nur auf etwa 200 Metern. Dann ist da ein Feld, ein Sportplatz: das Ende der Stadt. Das war hier schon immer. Die dominante historische Architektur dieser Gegend stammt aus den 1930er-Jahren: lauter gleiche kleine spitzgiebelige Häuser mit simplem rechteckigem Grundriss, Zeugen einer Politik, die – erst unter Dollfuß, dann unter Hitler – das Volk lieber als Kleinhäusler oder im kleinbürgerlichen Einfamilienhaus-Idyll am Rand der Stadt sah als in roten Arbeitersiedlungen.
Es gibt noch ein zweites Stück dieser Straße, weiter drinnen in der Stadt, doch alle Wiesen und Felder, die – zum Teil noch in meiner Kindheit – dazwischenlagen, wurden inzwischen mit Flachbau verdichtet und versiegelt durch die dazugehörigen Zufahrten. Adolf Hitler, der nach Meinung meiner Großmutter nicht alles schlecht gemacht hat (oder besser noch: nicht nur Schlechtes), wollte die beiden Teile verbinden, die Straße weiterziehen und uns auf diesem Weg mit der mittelgroßen Nachbarstadt verbinden; jedes Haus in der Straße meiner Großmutter musste dafür ein Stück Vorgarten zu Verfügung halten, der im Ernstfall, dann, wenn die Panzerfahrzeuge Platz da brauchten für Krieg bei (oder besser: mit) den Nachbarn, wegkommen konnte. Inzwischen ist klar, dass hier keine Durchzug mehr sein wird. Die ungewollte Sackgasse ist und bleibt ein urbanistischer
Torso. Und doch eine ganz normale (weil inzwischen äußerst dicht bestückte) Wohnstraße, wie sie immer mehr werden in dieser Welt in Österreich. Nur eines fehlt ihr dazu: der Wendehammer. Für den war einfach kein Platz zwischen den Vorgärten. Wer mit dem PKW reinfährt, muss die ganzen 200 Meter retour wieder raus. Dabei dankst du Gott, dass hier nur Omas wohnen (und keine Familien mit spielenden Kindern), dass du keinen SUV hast (durch dessen superhohe Heckscheibe du auch Großmutter nicht über die Straße humpeln hättest gesehen) und fluchst wahrscheinlich trotzdem auf diesen verkehrsplanerischen Blinddarm aus dem Dritten Reich.
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