Das Gewöhnliche und das Ungewöhnliche.
Wo ich bin, da ist auch Berlin. Jedenfalls habe ich das vor ein paar Jahren für mich festgestellt: Ich habe mir das Berlinerische – jedenfalls zum Teil – mit hierhergebracht ins Schwäbische, wo ich jetzt lebe. Und das Berlinerische – der Berliner Dialekt, die Berliner Haltung, die sich hinter diesem Dialekt verbirgt – ist womöglich ordinär. Ordinär in einem guten, positiven Sinne. Hinter dem Dialekt, hinter der damit verbundenen Schnoddrigkeit, der extremen Ironie und Selbstironie, hinter der vielleicht völlig bewussten Vermeidung von gehobener, akademischer Sprache versteckt sich für mich eine Überlegenheit, Unantastbarkeit, Unangreifbarkeit. Unerschütterlichkeit, Nihilismus, Stoizismus. Hört man den Berliner Dialekt zum ersten Mal, so fühlt man sich vor den Kopf gestoßen. Denn Kühle springt einem entgegen, Nüchternheit bis zur Herzlosigkeit. Und doch: Die Lässigkeit ist es, an der man gern teilhaben möchte. Das Berlinerische ist Punk, ist ein Doppeldecker-Flugzeug, dessen Motor stottert beim Abheben und stottert beim Landen. Das Berlinerische ist, hört und erlebt man es zum ersten Mal, Peitsche auf die Ohren. Bei meiner Erstbegegnung, meiner ersten Ankunft in Berlin, fühlte ich mich nicht selten geschockt, ausgesetzt dem Fremden, dem Ordinären: dem unverhohlen Ordinären, dem gewollt Ordinären. Da war auf keinen Fall in mir: „Daran möcht‘ ich teilhaben“. Die Sprache ist wider alle Schmeichelei. Holzhammer trifft Holzkopf. Und noch heute, wenn ich nach Berlin zurückkehre, bin ich geschockt, den Berliner Dialekt völlig unverfälscht erneut zu hören, die Berliner Haltung und Haltungen dem Leben gegenüber erneut zu erleben.
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