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Heft 36

Erschienen in Heft 36/37, ordinär
Ressort: Feuilleton

Ist Normalität ordinär?

Franziska Bauer

Vom ganz normalen Wahnsinn.

In seinem Tractatus logico-philosophicus sagt Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Sprache schafft Bewusstsein, Sprache ist Bewusstsein. Ohne Sprache kein kohärentes Denken. Dabei ist Sprache nicht festgeschrieben, sie wandelt sich, ist in stetem Fluss. Wortbedeutungen fluktuieren. Wörter schillern bunt und mehrdeutig wie schlüpfrige Fischchen, kaum glaubt man, sie gefasst zu haben, entgleiten sie der Hand, die sie fassen will. Sehen wir uns deshalb vor Beantwortung der im Titel gestellten Frage, ob Normalität ordinär sei, die Wörter „ordinär“ und „normal“ einmal näher an.

Der Online-Duden listet das Wort „ordinär“1 als Adjektiv, das durchschnittlich seltener als ein Mal in einer Million Wortformen des Dudenkorpus belegt ist, und schreibt ihm zwei Bedeutungen zu, eine veraltete und deshalb eher wenig gebräuchliche im Sinne von „gewöhnlich und alltäglich“ und eine abwertende, die synonymisch ist zu „unfein, unschicklich, von schlechtem Geschmack
zeugend“. Bezüglich der Herkunft verweist der Duden auf das französische „ordinaire“ = „gewöhnlich, ordentlich“ und das lateinische „ordinarius“ = „ordnungsgemäß, ordentlich“. Im Englischen, das man ja die Halbschwester des Romanischen nennt (was durchaus machtpolitische Gründe hat, denn Wilhelm der Eroberer machte das Altfranzösische zur Amtssprache, nachdem er die Schlacht von Hastings gewonnen hatte und zum Herrscher von England geworden war), heißt „ordinary“ schlicht „normal, allgemein üblich“. Das abwertende „ordinär“ wäre mit „indecent, vulgar“ zu übersetzen. Herr Otto Normalverbraucher ist im Englischen somit „just an ordinary person“.

 

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