Aber sicher! Das zumindest würde die schreibkraft-Redaktion dieser – doch allzu oft rhetorisch gemeinten – Frage zunächst entgegenhalten. Um sie, die Frage, dann doch ernst zu nehmen. Wir fragen also zuerst einmal uns selbst: die Printpublikation, die Kulturarbeit, die Kunst, der Diskurs – und das durchaus direkt und im umgangssprachlichen Sinne: GEHT´S NOCH?!?
Die Antwort unserer Autorinnen und Autoren fällt durchaus kritisch aus: Woher genau kommt die Inflation dieser Pseudofrage in den Medien und im zwischenmenschlichen Umgang, fragt Doris Claudia Mandel nach. Und das, wo es doch so viel schönere (und direktere) Formen gibt, Unmut auszudrücken (wie etwa: Ham se dir ins Jehirn jeschissen?!).
Der Fotograf Erwin Polanc sieht für diese Ausgabe der schreibkraft erstmals Schwarz-Weiß. Martin Behr erzählt in seinem Text zu seiner Fotostrecke davon, wie der Fotokünstler in seinen Bildessays und Bildtableaus die Welt der Objekte sowie des Menschen umkreist. „Man kann nicht ohne Utopie leben“, tröstet uns Dirk Werner. Und Michael Helming sucht nach den dadaistischen Qualitäten unseres Themas, um bei der Frage zu landen, wie viel Rock ‘n‘ Roll die Normalität und der Schulhof vertragen.
Ganz genau! Wenn wir „Geht´s noch?“ fragen, so meinen wir natürlich genauso die Welt dort draußen, jenseits unseres quadratischen Kleinformats. Unser Titelthema ist dabei mehr spontane akustische Reaktion auf ihren Zustand denn Diagnose – und damit doch genau das: Geht´s noch etwas tiefer? Geht’s noch unverschämter? Geht’s noch menschenverachtender? Geht’s noch illiberaler? Geht’s noch weiter nach dem weit rechten Rand, nach dem vielzitierten, gut gedehnten oder besser: ziemlich verspannten Verfassungsbogen?
„Alles Einzelfälle!“, antwortet Wolfgang Gulis ironisch. Und Cordula Simon ergänzt: Hitler war nicht moralisch. Oder doch? War die Moral nur aus aufklärerischer, humanistischer Perspektive ordentlich verbogen? Und wer oder was verbiegt sich gerade jetzt? Folgerichtig philosophiert Martina Ernst über Geht’s-Noch-Typen. Und wir schreiten weiter zu Adorno. Da fragt man sich auch seit vielen Jahren, ob der noch geht – und dann entdecken ihn, wie Bernhard Horwatitsch erläutert, die Rechtspopulisten. Oder aber Arthur Rimbaud: Alice Le Trionnaire-Bolterauer sucht auf den Spuren des Dichters danach, wo die Literatur sich am Leben stößt.
Nicht nur die Literatur stößt sich am Leben. Ein drängendes Wie-lange-noch? quält Leidende, Kranke, aber auch jene, die oft nicht freiwillig mit der Pflege kranker/alternder/dementer/sterbender Menschen betraut sind – eine unangenehme Frage, die das Leben des Anderen genauso einbezieht wie das eigene Durchhaltevermögen; gleich mehrere Texte hat die schreibkraft diesmal dazu erhalten. „Ist es entscheidend, ob sich das Hirn vor dem Tod zersetzt oder hinterher?“ fragt sich Cornelia Koepsell in jenem Beitrag, der schließlich abgedruckt wurde.
So oder so: Wir tun unser Bestes dagegen. Unter anderem mit literarischen Texten. Und mit einer Menge Leseempfehlungen in Form mehr oder weniger aus der Zeit gefallener Rezensionen.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!