Als die schreibkraft im Jahr 1998 im Grazer Forum Stadtpark gegründet wurde, wurde sie auf Computern geschrieben und gesetzt, per Diskette an die Druckerei geliefert, gedruckt, gebunden, per Post verschickt und – mitunter persönlich – an ausgewählte Buchhandlungen distribuiert. Das Internet stand noch an der Schwelle zum Massenphänomen und Amazon lieferte in diesem Jahr sein erstes Buch in Deutschland aus.
Seither hat sich einiges getan: Druckdaten werden auf Server oder in die Cloud gestellt, Amazon ist zum Gottseibei- uns des Buch- und überhaupt weiten Teilen des Einzelhandels geworden, und zum Web gesellten sich die Webs 2.0, 3.0, ja, 4.0 dazu. Wobei gerade die Variante 2.0 unzählige Herausfor- derungen und Möglichkeiten für Schreibende und in weite- rer Folge die gesamte Buch- und Verlagsbranche produzierte: Blogs, Social Reading, Self Publishing, um nur einige Schlag- worte zu nennen, machten das Publizieren ungleich leichter, das Funktionieren herkömmlicher Geschäftsmodelle der Ver- lagsbranche zugleich komplexer und vielfach weniger profitabel. Und dennoch – oder gerade deshalb – erschienen im Jahr 2016 allein im deutschsprachigen Raum 73.000 Bücher neu. Wer hat die alle geschrieben? Und vor allem warum?
„Wenn ich nicht schreibe, findet mein Leben ohne mich statt“, bekennt Kerstin Kempker in ihrer ebenso persönlichen wie existenziellen Antwort auf diese Frage. Andere Autorin- nen und Autoren beleuchten ihre jeweils eigene Poetologie, beschreiben den Wert von schriftlichen Vermächtnissen, leuch- ten die Kulturtechnik „Schreiben“ aus oder hinterfragen, ob das Schreiben auch in Zeiten der uns flutenden Informations- kanäle noch Mittel der Aufklärung sein kann. Klaus Ebners Erkenntnis, dass Schrift nicht erfunden wurde, um Geschichten festzuhalten, sondern vor allem um Mengenangaben von Mehl, Öl und Wein zu dokumentieren, führt direkt zu den kom- merziellen Spielarten des Schreibens: Doris Claudia Mandel hinterfragt etwa wie demokratisch die neuen Vertriebsmög- lichkeiten von Literatur sind, Martin Gasser befürchtet, dass unter dem Diktat der Ökonomie klassische Kunstkritik immer mehr zugunsten von eingängigen Formaten wie Portraits oder Homestorys verdrängt wird, und Evelyn Peternel berichtet in einem sehr persönlichen Text über den journalistischen Alltag mit seiner ewigen Suche nach dem „kleinen Mann“, der echten Geschichte und dem wahren Leben. Als Schlusspunkt des Themenschwerpunkts hält Thomas Wolkinger schließlich eine Fest- rede zum 50. Todestag des Autors.
Flankiert werden die thematischen Texte wie gewohnt von Besprechungen ausgewählter literarischer Neuerscheinungen, von Tipps zum Musikhören und von literarischen Erstveröf- fentlichungen. Die grafischen Seiten dieser Ausgabe stammen von der Grazer Fotografin Ulrike Mayrhuber, die uns mit ihren Bearbeitungen eines analogen Fotos zeigt, wie ein und dasselbe Bild durch Hinzufügungen und Weglassungen ganz neue Ein- drücke vermittelt – ein Akt, der, angewandt auf das Schreiben, zeigt, wie wichtig es ist, verantwortungsvoll mit Streichungen/ Kürzungen/In-den-Mund-Legungen umzugehen.
„Schreiben braucht die Erlaubnis zur Langsamkeit, einen Ort, an dem die Zeit nicht Gegnerin ist, sondern Freundin“, schreibt Katharina Körting in ihrem Beitrag. Ein Satz, der auch für den Akt des Lesens nicht besser formuliert werden könnte (mit dem wir uns übrigens in Heft 32 ausgiebig beschäftigen werden). In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viele ruhige Stunden bei der Lektüre dieser Ausgabe!