Zeuge gegen Jehova
Werner Fiedler wollte ein Drehbuch über seine Kindheit in einer Sekte schreiben. Es ist ein dichtes Buch geworden
Jakob wächst mit seiner Mutter Monika auf, die die kleine Familie als Raumpflegerin ernährt. Monika hat eine große Liebe. Das ist Gott. Oder besser: der Schöpfer. Mutter und Sohn gehören einer religiösen Gemeinschaft an, die der Autor sichtbar den „Zeugen Jehovas“ nachempfunden hat. In dieser Gemeinschaft führen die sogenannten „Ältesten“ ein strenges Regime, stets mit Verweis auf den biblisch verbürgten Willen des Herrn. Und als dessen Agentin nimmt Monika auch zuhause ihre erzieherischen Pflichten ernst: restriktiv und mit der Rute. Ihre Liebe zu Jakob kann sie sich nur eingestehen, wenn sich das mit jener zum Schöpfer in Einklang bringen lässt: Wenn Jakob Gott gefällt. Redlich bemüht sich der 12jährige daher, gottgefällig zu sein – wider die Anfechtungen durch Lehrpersonen und gewaltbereite Mitschüler. Zugleich hungert er nach Freundschaft und Freiheit, nach Liebe, Spaß und nach Kaugummis. Und dann spürt er auch noch das Erwachen seiner Sexualität.
Autor Werner Fiedler führt in Klagenfurt einen Plattenladen und schreibt Romane, bei denen seine Kindheit in einer „radikalen christlichen Religionsgemeinschaft“ eine zentrale Rolle spielt. Die Apokalypse des frommen Jakob hätte nun ein Film werden sollen, erschien aber doch als Buch. Das ist ihm anzumerken. Aus der Tragödie seelischen Missbrauchs macht Fiedler eine Tragikomödie, die Probleme weder auktorial noch in komplexer Figurenzeichnung verarbeitet, sondern ganz auf die Ebene der Handlung rückt. Er packt Wut und Willen zur Aufklärung in einen dichten Plot, der seinen Bogen vom überraschenden Ausfall der Apokalypse über die Verweigerung medizinischer Hilfe bis zu einem Phänomen spannt, das konservative Sekten mit dem katholischen Klerus verbindet: Missbrauch als Entgleisung der Moral im Schatten ihrer Überhöhung. Das ist plakativ. Aber es verfehlt nicht seine Wirkung.
Was den Film zum Patschenkino für die ganze Familie machte, empfiehlt den Roman fürs Verlagsjugendprogramm (das es bei der Edition Kürbis freilich nicht gibt). Dort nämlich könnte Fiedlers Buch seine Qualitäten perfekt entfalten: Es ist packend, dabei durchgehend humor- und liebevoll bei der Begleitung seines Helden durch die filmisch verknappte Handlung. Es will sein Anliegen unterhaltsam präsentieren.
Und das gelingt. Fiedler zeigt mit der launigen Geschichte seines Helden, wie Sekte funktioniert. Wie sie sich auf Menschen in prekären Lebenssituationen stürzt und stützt, um diese in autoritären Strukturen einzuklemmen, wie sie Zuckerbrot und Peitsche verteilt und Gewalt an Menschen verübt, die sie unter Ausnutzung zwischenmenschlicher Beziehungen in psychische Abhängigkeiten treibt. Und wie sie weiterwirkt, selbst dort, wo jemand meint, den Ausstieg geschafft zu haben …