Alter Analytiker!
Von der Geilheit des Jägers beim Schuss.
Er war altösterreichischer Aristokratenspross mit Schweizer Pass, Jude, Untersteirer, begeisterter Jäger, Arzt bei den Partisanen, Psychoanalytiker in Zürich, Ethnologe in Afrika, Schriftsteller, liebender Ehemann und Päderast, der, wenn man das aus seinen autobiografischen Erzählungen folgern darf, ab und zu jungen Buben den nackten Hintern peitschte, bevor er mit ihnen verkehrte. Die Schublade, in die Paul Parin (1916-2009) passt, muss erst noch gezimmert werden. Sie müsste auf jeden Fall ziemlich viel Fassungsvermögen haben.
Die Brüder Johannes und Michael Reichmayr – Psychoanalytiker bzw. Bibliothekar – haben die ehrenvolle Aufgabe unternommen, das literarische Werk dieses Tausendsassas, das ursprünglich in der Europäischen Verlagsanstalt (EVA) erschienen ist, im Wiener Mandelbaum-Verlag neu und vollständig herauszugeben. Und sie haben zu diesem Behufe im Herbst 2018 mit dem letzten Buch Paul Parins begonnen: Die Jagd – Licence for Sex and Crime. Erzählungen und Essays. Da geht es gleich ans Eingemachte. In der Kurzgeschichte „Der Haselhahn“ erfahren wir, wie der 13-jährige Paul heimlich ein Gewehr aus dem väterlichen Schrank entwendet, damit in den Wald geht und einen Haselhahn anlockt. Als er diesen mit einem Blattschuss erledigt, geht ihm gleichzeitig einer ab. „Eine unerträgliche Spannung, irgendwo im Unterleib, etwas muss geschehen. Plötzlich löst sich die Spannung, in lustvollen Stößen fließt es mir in die Hose (schiff‘ ich mich an?), nein, es ist das, der wunderbare Samenerguss, der erste bei Bewusstsein. […] Seither gehören Jagd und Sex zusammen.“ Für den späteren Psychoanalytiker ist die sexuelle Erregung der Punkt, von wo aus er die Jagdleidenschaft immer wieder zu ergründen versucht – in weiteren Erzählungen, aber auch in analytischen Texten über die Lebensgeschichten des unglücklichen österreichischen Kronprinzen Rudolf sowie des jagdbegeisterten amerikanischen Präsidenten Theodor Roosevelt. Parin reflektiert über ödipale Konflikte, die sich in der Tötung von gefährlichem Großwild auflösen lassen, er weist auf die feste Verbindung zwischen Jagd- und Mordlust hin und beschreibt, wie Rituale das damit verbundene Triebgeschehen abfedern. Wer bei Parin auf eine Verherrlichung bzw. eine Verteufelung der Jagd wartet, wird gleichermaßen enttäuscht sein. Verteufeln kann er die Jagd nicht, weil er sie leidenschaftlich betreibt, und der Verherrlichung steht die offene Verknüpfung mit der Sexualität entgegen, die konservative Jagdbegeisterte vor den Kopf stoßen muss. Zumal diese Verknüpfung einen sehr eigenen Einschlag aufweist: Als Strafe, dass er bei einer Fuchsjagd aus der Kette der Treiber ausschert, lässt der Vater, ein Gutsbesitzer aus dem Kreis Celje/Cilli in der ehemaligen Untersteiermark, den jungen Paul von seinem Förster Ivan zu pädagogischen Zwecken mehrfach auspeitschen. Bei der letzten derartigen „Behandlung“ wird der zitternde, nackte Junge im Anschluss von einem jungen Knecht oral befriedigt. Fertig ist die perverse Vorliebe, mit der Parin in seinen Texten sehr offen umgeht. So offen, dass Verlegerin und Lektorat der EVA nach Strich und Faden in den Texten fuhrwerkten und 2003 eine schwer verstümmelte Variante des Buches herausbrachten, wie Michael Reichmayr in der editorischen Notiz zur unzensurierten Neuauflage ausführt.
Aus literarischer Sicht ist dem ersten Verlag der Versuch editorischer Eingriffe nicht zu verdenken, denn Paul Parins Konglomerat aus Erzählungen, Reflexionen und Betrachtungen folgt zwar der Jagd als thematisch blutrotem Faden, aber stilistisch merkt man den Texten eine heterogene Entstehungsgeschichte an: Sie dürften sich über Jahrzehnte in der Schreibtischschublade des Autors angesammelt haben. Auch das Kernstück des Buches, der „Lebensroman eines Truthahnjägers“, der die Motive Kindheit in Slowenien, Päderastie, Jagd- und Mordlust noch einmal ausbreitet, hat Passagen, die nicht fertigerzählt wirken. Insgesamt ist Parins literarischer Stil frei von nennenswerten Höhepunkten. Größere Strahlkraft entwickelt das Buch hingegen, wenn man es als Lebenszeugnis eines unglaublich facettenreichen Menschen nimmt, wie sie die moderne Welt mit ihren allzeit paraten politischen Korrekturprogrammen nicht mehr hervorzubringen scheint. Lohnend ist die Lektüre von Die Jagd – Licence for Sex and Crime auch für jene Leser, die sich unvoreingenommen mit dem vielschichtigen Thema Jagd befassen wollen. Wertvolle Impulse liefert dazu der schon für sich lesenswerte Essay „Vom Mörder zum Jäger und zurück“ der Zoologin Karoline Schmidt im Anhang des Buches – nebst Beiträgen von Gesine Krüger und dem Doyen der Ethnopsychoanalyse, Mario Erdheim.