x
Anfrage senden

Heft

Erschienen in Katharina Körting: Rotes Dreieck. Chronik eines Verrats., Rotes Dreieck. Chronik eines Verrats.
Ressort: Rezensionen

Katharina Körting:
Rotes Dreieck. Chronik eines Verrats.

rezensiert von Werner Schandor

In der PR-Maschinerie

Im Roman „Rotes Dreieck“ gerät eine aufrechte Texterin in das Räderwerk eines Wahlkampfs.

Eine uralte amerikanische Blues-Weisheit lautet: „You can’t judge a book by it’s cover“ (Willie Dixon). Selten trifft das so sehr zu wie auf Katharina Körtings Roman Rotes Dreieck. Das anno 2018 im Bonner Kid Verlag erschienene Buch ist augenscheinlich billig produziert: Der Titel am Umschlag ist rechts angeschnitten (unabsichtlich), das Papier im Inneren von der raueren Sorte und der Schriftsatz Marke Eigenbau, wenn es um die Kenntlichmachung unterschiedlicher Erzählebenen in Klammern und im Kleindruck geht. Kurz: Für bibliophile Menschen ist dieses Buch die falsche Adresse. Und trotzdem wäre man falsch beraten, sich durch diese Äußerlichkeiten von der Lektüre abhalten zu lassen. Denn Körtings Roman ist – salopp formuliert – ein Hammer. Oder  geschliffener: eine Preziose.

In der aktuellen deutschsprachigen Literatur gibt es erstaunlich wenige Bücher, die sich mit den Mühen des Arbeitslebens beschäftigen. Entweder sind die Schriftsteller zu gut subventioniert (sicher falsch) oder sie sind materiell anspruchslos (schon eher) oder so idealistisch (vielleicht auch), dass ihnen das schnöde Geldverdienen nicht der Rede wert ist. Rühmliche Ausnahmen sind beispielsweise Bernd Cailloux‘ Das Geschäftsjahr 1968/69 (2005), ein Roman über die Erfinder des Stroboskop-Diskolichtes, und Terézia Moras Der einzige Mann auf dem Kontinent (2009) über einen gründlich verschalteten IT-Vertriebsmenschen. Ziemlich sicher gibt es ein paar mehr Bücher, die in diese Reihe gehörten, und ganz sicher ist Katharina Körtings Roman Rotes Dreieck ein glänzendes Beispiel von zeitgenössischer „Literatur aus der Arbeitswelt“, die – zumindest in der Kreativwirtschaft – eine durch und durch prekäre geworden ist.

Die Hauptfigur in Körtings Roman heißt Marlene Meyrer, schlägt sich als Texterin durchs Leben und wird von einer Werbeagentur im deutschen Bundestagswahlkampf im Online-Redaktionsteam der „Sozialen Fortschrittspartei“ (SFP) eingesetzt. Als überzeugte Parteigängerin, deren Herz rot schlägt, ist sie sicher, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Wie man sich täuschen kann! Denn Marlene muss sehr bald einsehen, dass es der zersplitterten Partei und ihren Oberen nicht um die politischen Anliegen der „Basis“ geht, sondern um den Erhalt ihrer Positionen und Pfründe. Und als wäre das nicht schlimm genug, greifen im Hintergrund auch noch PR-Leute ins Geschehen ein, die nach dem richtigen „Spin“ trachten und vor lauter Strategie nicht bemerken, wie der letzte Rest an politischer Glaubwürdigkeit den Bach runtergeht. Auftritte werden pompös inszeniert, Nebensächlichkeiten zu Erfolgen aufgeblasen, ein innovativ  gestalteter Wahlkampfstand (das titelgebende „Rote Dreieck“) wird als kommunikatives Allheilmittel verkauft. „Das einzig Wahre in der Public Relations, teuerste Leserin, ist die Ware, und das Warendenken ist nicht mal das Gegenteil von Moral, sondern Teil eines völlig anderen Systems. Politische Kommunikation ist eine Spielart der PR, teurer Leser, auch hier geht es nur um Warendenken – das sollte doch Marlene langsam gelernt haben“, heißt es in einer Klammerbemerkung.

Katharina Körting, die seit Beginn an die schreibkraft immer wieder mit Texten beglückt, hat in älteren biografischen Angaben ihre PR-Tätigkeit im Rahmen eines deutschen Bundestagswahlkampfs vermerkt. Man könnte Rotes Dreieck von daher vermutlich auch als Schlüsselroman lesen. Doch den Text darauf zu reduzieren, würde zu kurz greifen. Denn der Roman denkt auf einer Metaebene sehr gründlich über die Risse nach, die sich in der werblich missbrauchten Sprache auftun: „Eine gute, saubere und ‚acht‘same Sprache wäre ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Das stünde dann allerdings so allein, dass sie vereinsamt. Der deutsche Wahlkampf verhunzt die deutsche Sprache noch mehr als das politische Alltags-Text-Geschäft: Lange vor der Wahrheit geht die Sprache vor die Hunde“, notiert die Hauptfigur Marlene in ihrem digitalen Tagebuch. Körting zieht in ihrem Roman des prekären Scheiterns mehrere  erzählerische Ebenen ein: Da ist zum einen der rote Faden der Geschichte von Marlene Meyrers kurzer und erfolgloser „Karriere“ im Social-Media-Team der „Sozialen Fortschrittspartei“ samt erotischem Zwischenspiel mit einem der Wahlkampfleiter. Da sind zum Zweiten die in Klammern gesetzten Kommentare der Erzählerin, die einerseits das Geschehen und andererseits die erzählerische Aufbereitung des Geschehens reflektieren. Und da sind zum Dritten in 9-Punkt-Schrift gedruckte Notizen und Beobachtungen, die Marlene unaufhörlich während Besprechungen
und Veranstaltungen und bei jeder sonst sich bietenden Gelegenheit in 9-Punkt-Schrift in ihr Notebook tippt. Das treibt ihre PR-Vorgesetzten immer wieder mal zur entnervten Frage, was sie da eigentlich die ganze Zeit schreibe. Die Antwort: Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit über jene PR- und Marketingkollegen, die sich mit Phrasen dreschenden Partei-Lobbyisten ins Bett legen und die Gabe des Schreibens zu Markte tragen: „Worte ficken, Widerlinge wichsen, auf Befehl schleimen, immer zuhören, lächeln, Geld dafür nehmen.“ [Aus Marlenes Notizen] Eigentlich ist es seltsam, dass es so wenig Romane über Werbung und PR gibt, wo doch so viele Autoren ihre Brötchen in der Branche verdienen oder verdienten. Martin Suter und Wolf Haas sind im deutschen Sprachraum vermutlich die bekanntesten Namen mit Agenturerfahrung; der Franzose Frédéric Beigbeder hat mit 39,90 einen eher klischeehaften Werberoman geschrieben; und Katharina
Körting ist meines Wissens die Erste in Deutschland, die den inneren Zwiespalt in Worte fasst, der einen überkommen kann, wenn man mit dem richtigen Sprachbewusstsein im falschen PR-Film sitzt. Ein höchst lesenswertes Buch – nicht nur, aber schon auch für PR- und Marketingleute und all jene, die wissen wollen, wie es im Inneren einer großen Wahlkampagne wirklich zugeht.

Rezensionen

Buch

Tanja Paar:
Die Unversehrten

2018: Haymon, S. 160
rezensiert von Werner Schandor

Federleicht erzählte Tragödie Tanja Paars „Die Unversehrten“ führen in den Abgrund des Zwischenmenschlichen hinab. „Die Unversehrten“ heißt Tanja Paars Debütroman, aber auf dem Umschlag ist über den Titel ein feiner

Buch

Nadia Rungger:
Das Blatt mit den Lösungen. Erzählungen und Gedichte.

2020: A. Weger, S. 152
rezensiert von Nina Köstl

Die Besonderheiten der alltäglichen Dinge Nadia Runggers „Das Blatt mit den Lösungen“ – ein überzeugendes Debut. In ihrem 2020 erschienen Buch Das Blatt mit den Lösungen entführt Nadia Rungger ihre

Buch

Katharina Körting:
Rotes Dreieck. Chronik eines Verrats.

2018: Kid Verlag, S. 228
rezensiert von Werner Schandor

In der PR-Maschinerie Im Roman „Rotes Dreieck“ gerät eine aufrechte Texterin in das Räderwerk eines Wahlkampfs. Eine uralte amerikanische Blues-Weisheit lautet: „You can’t judge a book by it’s cover“ (Willie

Buch

Roman Markus:
Dings oder Morgen zerfallen wir zu Staub

2020: Droschl, S. 232
rezensiert von Hermann Götz

Wie war das noch mal? Roman Markus hat mit „Dings“ einen wunderschönen Roman aus den 1990ern geschrieben. Natürlich ist es Zufall, dass der Autor Roman heißt. Und sein Roman (wie

Buch

Tonio Schachinger:
Nicht wie ihr

2020: Kremayr & Scheriau, S. 304
rezensiert von Heimo Mürzl

Der Käfigkicker Ein unwiderstehliches Solo auf der Schreibmaschine: Tonio Schachingers Debütroman „Nicht wie ihr“. Wer keinen Bugatti hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie angenehm Ivo gerade sitzt. Tonio Schachinger

Buch

Werner Schandor:
Wie ich ein schlechter Buddhist wurde

2020: edition keiper, S. 200
rezensiert von Heimo Mürzl

Schotterbänke der Vernunft Werner Schandor hilft beim Nachdenken und plädiert für Menschlichkeit, Offenheit, Aufklärung und Humor.   Werner Schandor, der der Aufgeregtheit und Hektik, dem Tempo und Unsinn unserer Zeit

Buch

Bergsveinn Birgisson:
Die Landschaft hat immer Recht

2018: Residenz, S. 288
rezensiert von Hannes Luxbacher

Die Welt in Bergsveinn Birgisssons 2003 erschienenem Debutroman „Die Landschaft hat immer recht“ ist irgendwo zwischen banaler Realität, magischen Halluzinationen und bildreicher Vorstellungskraft angesiedelt. Es ist dem Residenz-Verlag hoch anzurechnen,

Buch

Christoph Dolgan:
Elf Nächte und ein Tag

2019: Droschl, S. 216
rezensiert von Werner Schandor

AUFGEZWUNGENE STARRE In Elf Nächte und ein Tag zeichnet Christoph Dolgan ein dicht gewobenes Psychogramm einer bedrückenden Freundschaft. Das heftigste Kapitel ist jenes, wo die Hauptfiguren Theodor und der Ich-Erzähler

    Anfrage

    Möchten Sie ein Heft bestellen?
    Bitte geben Sie die Heft-Nr. und Ihre Adresse an:

    Ihre Kontaktdaten werden zum Zweck der Kontaktaufnahme im Rahmen dieser Anfrage gespeichert. Mit dem Absenden dieses Formulars stimmen Sie dieser Verwendung zu. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.