Der Attwenger-Sound
Markus Binder und Hans-Peter Falkner vom Kult-Duo Attwenger überzeugen auch als Autoren: Literatur zwischen Sprachwitz, Wortartistik, Lakonik, Nonchalance, Experiment und Nonsens.
Seit fast drei Jahrzehnten begeistert das aus Markus Binder (Schlagzeug & Gesang) und Hans-Peter Falkner (Knöpferlharmonika & Gesang) bestehende Duo Attwenger mit seinem unverwechselbaren Soundhybrid aus Volksmusik, Punk, Hip-Hop, Techno, Drum & Bass und Dialektpop. Das oberösterreichische Duo begnügte sich aber nicht damit, in schöner Regelmäßigkeit erfolgreiche und von der Kritik gefeierte Alben abzuliefern, sondern schuf sich parallel dazu ein literarisches Standbein. Während sich Hans-Peter Falkner mit großer Lust dem Sammeln und dem Verfassen von bodenständiger Lyrik und Alltagspoesie widmet, überzeugt Markus Binder als versierter Vertreter einer assoziativ-anekdotischen Literatur, die sich aus Dialogfragmenten, Wahrnehmungssplittern, Alltagsbeobachtungen, (sprach-)philosophischen Überlegungen und episodenhaften Beschreibungen zusammensetzt. Hans-Peter Falkners Vorliebe für Dialekt-Lyrik, wo Rhythmus und Klang
im Zentrum stehen und der Mundart-Sprachwitz die Oberhand gewinnt, zeitigte bisher drei Sammelbände mit alten und neuen Gstanzln. Der in der Bibliothek der Provinz erschienene Band 890 gstanzln ist ein Best-of der Bücher 1234 gstanzln und 567 gstanzln – beide Sammelbände sind inzwischen längst vergriffen – und ein faszinierender Beleg für die anhaltend-suggestive Wirkung und widerborstig-subversive Kraft dieser Kreuzung aus Liedform und Mundartdichtung. Die Gstanzln von Falkner spielen mit der Sprache, dass einem bei der Lektüre Hören und Sehen vergeht. Spott & Hohn, Sinn & Unsinn, konkrete Poesie & humoristische Aufsässigkeit gehen da eine literarische Liaison ein, die unterhält und zugleich zum Nachdenken anregt. Das ist viel mehr als Nonsens mit Tiefsinn. Über diese lustvoll servierte literarische Kost von Hans-Peter Falkner darf man herzhaft lachen – man darf sich aber auch gern auf ein anregendes Leseabenteuer einlassen, das ein hohes Maß an Reflexivität erfordert und eine intellektuelle Herausforderung miteinschließt.
Patchwork aus Einzeltexten
Markus Binder legt seine Literatur etwas puritanischer und experimenteller an. Der Gestus des allwissenden Erzählers ist ihm völlig fremd und sein literarisches Credo inkludiert den Vorsatz „die Sprache nicht zu sehr durch eine Handlung einzuschränken“. Binder überzeugt als literarischer Flaneur, der mit der gekonnten Verknüpfung ganz unterschiedlicher literarischer Verfahren stets mit seinem Gegenüber – dem Leser, der Leserin – in Beziehung tritt, um ihm die Augen zu öffnen beziehungsweise ihm und ihr neue Perspektiven zu ermöglichen. Im Gegensatz zu seinem ersten Buch Testsiegerstraße verzichtet er auf Kleinschreibung ohne Interpunktionen und kehrt zum herkömmlichen Schriftgebrauch zurück, ohne jedoch herkömmlich-beliebige Literatur zu produzieren. Der Plot von Teilzeitrevue ist rasch erzählt: Ein Paar fliegt von Mexiko nach Europa, reist nach einem längeren Flughafenaufenthalt mit dem Zug in eine große Stadt, lässt sich in der Nacht von Nachtclub zu Nachtclub treiben und strandet am nächsten Tag nach einem Zwischenstopp in einem Freibad in einem Kaufhaus. Markus Binder lässt den Leser Seite für Seite teilhaben an einem Leben zwischen Selbstdarstellung, öffentlichem Sein und dem, was man wirklich ist. Einen klassischen Anfang und ein klassisches Ende hat Binders Buch nicht. Es geht ihm um Nuancen, Zwischenräume und Lücken, die der Leser im Idealfall
selbst mit Bedeutung füllen sollte. Die radikal-subjektive Wahrnehmung einer immer chaotischer wirkenden Welt und der Versuch beim Schreiben die Erfahrungen, Beobachtungen und Betrachtungen der Einzelnen zu einem größeren Ganzen zusammenzufügen, stehen im Zentrum von Binders Literatur. Er lässt die Gedanken schweifen, findet den passenden Sprachrhythmus und konstruiert aus Dialogfragmenten,
Alltagsbeobachtungen, Wahrnehmungssplittern, Detailbeschreibungen, gesellschaftskritischen Reflexionen und assoziativen Gedankenketten ein stimmiges (Roman-)Patchwork aus Einzelteilen. Markus Binder hat mit Teilzeitrevue ein sprachlich dichtes, gesellschaftlich relevantes, artifizielles und selbstreflexives Buch geschrieben, das man trotzdem mit großem Vergnügen liest. Ein echtes Kunststück.